Ein Text von Gerhard Kolberg

Architektur kann auch Kunst sein. Bereits die alten Griechen fassten ihre Tempelbauten als Skulpturen auf. Sowohl hinsichtlich ihrer charakteristischen Gesamterscheinung als auch im dienenden Detail. Insofern haben die Künstler der westlichen Kulturszene nur unwesentlich gestalterisches Neuland betreten, seit sie vor fünfzig Jahren auch Skulpturen und begehbare Environments zu schaffen begannen, die phantasievolle und eigenwillige Kompositionen architektonischer Formen sind. Nicht selten beziehen sich diese auf bewährte bauhandwerkliche Methoden und überlieferte Proportionsgesetze, um eine sinnlich nachvollziehbare Gestaltung zu erzielen.

Dialog zwischen dem Innen und dem Außen

Die architektonischen Installationen von Klaus Kleine stehen dieser bauhandwerklichen Tradition nahe. Anschaulich stellen sie unter Beweis, dass die Thematik des skulpturalen Bauens in innovativer Hinsicht noch längst nicht ausgeschöpft ist. Wer Kleines begehbare Kunstwerke – und ganz aktuell das für den Kölner Kunstraum Fuhrwerkswaage geschaffene – durchschreitend erlebt, vermag ästhetisch wie auch körperlich fühlend nachzuvollziehen, dass Bauen ursächlich dem Maß des Menschen verpflichtet ist; sieht man von jenen Bauwerken einmal ab, die den Menschen demütigen sollen. Bauen in seiner ursprünglichen Funktion bedeutet, mittels Mauern und Wänden einen Innenraum (ein Refugium) zu schaffen, ihn vom (unwirtlichen) Außenraum abzusondern. Dieser dimensionale wie auch psychologische Dialog zwischen dem Innen und dem Außen kommt in mehreren architektonischen Installationen des Künstlers besinnlich zur Wirkung, jedoch wird diese Zwiesprache in seiner, kreative Augen und Gehirne erfordernden Doppelinstallation für den Innen- und Umraum der Kölner Ausstellungshalle in einer außergewöhnlich anregenden Konstellation thematisiert.

Kleines ortsbezogen konzipiertes Kunstwerk variiert das „Prinzip Pergola“, so der Künstler. Es ruft rückwirkend sowohl über seine wirkliche als auch über seine gedankliche Präsenz nicht allein die Charakteristika der bestehenden Architektur des Gebäudes in Erinnerung. Denn jene architektonische Installation, die Klaus Kleine heimlich vor vierzehn Tagen für nur einen einzigen Tag im Kunstraum Fuhrwerkswaage aufbaute, existiert am Ort ihrer Erstpräsentation zumindest physisch nicht mehr. Der Kunstraum begrüßt seinen Besucher mit weißer Leere. Allein zwei Fotografien zeigen die abwesende Pergola aus einer frontalen und aus einer seitlichen Perspektive. Man findet sie an den Längswänden der kleinen Halle ausgestellt, jeweils im Format 46 x 46 cm, das in seiner Größe informativ wirkt, das entfernte plastische Kunstwerk aber nicht in scheinräumlicher Illusion ersetzt.

Der Künstler möchte den Betrachter, nachdem dieser sich die Motive der besagten Fotografien eingeprägt hat, anregen, sich beim Durchschreiten des Ausstellungsraumes das abwesende Kunstwerk bei kreativer Erinnerungsarbeit imaginär vor Augen zu führen. Wie ein Archäologe, der sich am Fundort seine Vorstellungen von dessen Vergangenheit macht. Wo genau im Raum befanden sich die ins gesamt acht hohen Pfeiler, die Kleine gleichhoch aus würfelförmigen Hohlblocksteinen wie die Trommeln einer klassischen Säule aufschichtete? Aber nur so hoch, um das Empfinden vom menschenbezogenen Maß nicht zu stören. Denn schon im Altertum verglich man eine Säule, gegliedert in Basis, Schaft und Kapitell, mit der Figur eines Menschen. So gesehen, könnte der erforschende Betrachter sich die fünf Fotografien von Kapitellen, die der Künstler konstruktivistisch gestaltete, als Metapher für sein „Köpfchen“, was Kapitell ja bedeutet, nehmen, denn dort ereignet sich seine erinnernde Vorstellungswelt.

„asymmetrische Symmetrie“

Aha, die, vom Eingang her gesehen, rechte Reihe von vier schlanken grauen Pfeilern verlängerte gewissermaßen die Fassadenfront des geschlossenen Bürokubus´, der nahe am Eingang steht! Ihr letzter Pylon lehnte sich an die Stirnwand des Raumes an, während derselbe der linken Säulenreihe sich wegen einer vorstehenden Treppenwange nicht so weit vorwagen konnte und folglich zum Pendant der vorletzten Säule der rechten Reihe aufrückte! Infolge dieser räumlich reagierenden, gewissermaßen „asymmetrischen Symmetrie“ standen sich also nur zweimal drei Pfeiler in gleichen Abständen zueinander ausgerichtet gegenüber, während der erste Pylon der linken Reihe dem Bürokubus gegenüber eine exponierte Stellung bezog!

Nach jedem vergewissernden Blicken auf die fotografierten Perspektiven und weiterem Spurensuchen nach den damaligen Positionen der Säulen, die in metamorphischer Hinsicht zu momentanen Standorten des äugenden, wandelnden und findenden Besuchers werden können, erschließt sich letzterem die bauliche Harmonie der kubischen und konstruktivistisch formenreinen Industriearchitektur. Diese wurde bereits mehrmals als eine, die Kontemplation fördernde quasi-sakrale Hallenarchitektur empfunden und gewürdigt. Nicht wenig tragen zu diesem besinnlichen Eindruck die hohen, in mehrere Rechtecke gegliederten Sprossenfenster an der Stirnseite bei, ebenso die kleineren, hoch über den Seitenwänden liegenden Fensterkuben.

Kleines fluchtende Pfeilerreihen lenkten, als sie noch real hier standen, den Blick vom Eingang her axial auf die hohen Fenster der Stirnseite. Zudem gliederten sie den Raum in drei lange Zonen, die im Sinne der erwähnten quasi-sakralen Raumwirkung an eine dreischiffige Basilika erinnern mögen. Wobei diese architektonische Interpretation einen Dämpfer erhält, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass, bei aller symmetrischen Korrespondenz mit dem gegebenen Ort, jene „Eintagspergola“ inmitten eines überdachten Innenraums errichtet worden war. Ein Paradoxon! Denn laut Duden ist eine Pergola ein „Laubengang aus Säulen oder Pfeilern als Stützen für eine Holzkonstruktion, an der sich Pflanzen (empor)ranken“; also eine plastische Andeutung einer Architektur im Freien, um einen vegetabilen, sich an ihr ausrichtenden Baldachin zu tragen. Sich letzteres Phänomen für Kleines Tagesinstallation auszumalen, würde surrealistische Züge annehmen; wenn nämlich die dünnen Stahlrohre, die jene acht Pfeiler miteinander verbinden und ihre identischen Zwischenräume überbrücken, den Halt für ein wirklich wucherndes Pflanzendach bildeten, das am Ende, in Verbindung zur ästhetischen Konnotation einer „Basilika“, sogar die romantische Assoziation in Erinnerung rufen würde, die Strebepfeilerreihen gotischer Kathedralen glichen hohen Laubwäldern.

Ideelle Verlängerung des Innenraums

Nun aber schnell nach draußen, wo den Besucher der Ausstellung hinterm Haus eine wirkliche Pergola von Klaus Kleine erwartet! – Sie erstreckt sich schmal wie eine Gasse entlang der Ostseite der Ausstellungshalle, deren Fassadenrhythmen sie intoniert, und öffnet sich im Norden zu einer luftigen und mehrgliedrigen linearen plastischen Konstruktion über einer weiten, apsidenförmigen und von Bäumen bestandenen Rasenanlage. Wie die abwesende innere Pergola, so ist auch die äußere aus genormten Materialien der Bauindustrie, aus viereckigen hölzernen Balken und Latten errichtet, in offener Ständerbauweise des Tragens und Lastens, der ein regelmäßige Abfolge filigraner Latten gliedernd obenauf liegt. Frei von vegetabilen Verunklärungen ist ihre Konstruktion auf Senkrechte und Horizontalen reduziert und formt, integriert und achtet den gegebenen Raum gleichermaßen. Wobei sie die unten freigeschnitten und oben beschirmenden Bäume einfühlsam durch die umgebende Konstruktion aufragen lässt. Einem Gewächshaus ähnlich, oder, weniger prosaisch gesehen, der Geschichte von Odysseus Schlafzimmer auf Ithaka entsprechend, durch das ein mächtiger Baum wuchs.

Diese Wandelhalle, gleichsam eine ideelle Verlängerung des anschließenden Innenraums, ist völlig transparent und in ästhetischer Hinsicht leicht und luftig zu nennen. Die horizontal und rhythmisch abdeckenden Normhölzer bilden, je nach Sonnenstand, Perspektive des Betrachters und Tempo seines sinnlichen Ergehens, lichte, den Blick zum Himmel eröffnende Abfolgen aus Luftraum und Latten, oder Schatten spendende optische Verdichtungen der horizontal abdeckenden Hölzer.

Wer will, könnte den Dialog mit dem „Prinzip Pergola“ gleich im Außenraum beginnen und seinen realen Eindruck mit hinein in das räumliche und psychische Innere, den metaphysischen Ort der Erinnerungen und Imaginationen nehmen, um an ihm ortsbezogene oder persönliche Wachträume zu kreieren. Alle gedachten oder wirklich erlebten Eindrücke von den beiden Kunstwerken, ob von dem einen Tag lang geheim oder dem ein Jahr lang öffentlich präsentierten, dürfen zur Erinnerung mit nach Hause genommen werden.

Gerhard Kolberg